Glosse 5
Wer hat eigentlich den völlig schwachsinnigen Satz erfunden,
dass man Tennis „gleich richtig“ erlernen müsste?
Wer jemals einen Anfänger im Tennis unterrichtet hat oder gar ein Kind, das mit Tennis anfängt, der wird sich – selbst wenn er sich bemüht diesem „Gleich-Richtig“-Lernanspruch nachzukommen – fragen, wie das denn zusammengehen soll mit der Realität, mit der man es da zu tun haben wird.
Wer genauer frägt, der wird sich auch die Frage stellen, warum die deutschen Verbände für den Lehrbereich leichter zu spielende Bälle empfehlen und warum die Industrie Kinderschläger produziert, wenn man es doch nur „gleich richtig“, also mit dem ständigen Bild einer „optimalen Endausformung im Nacken“ lernen dürfte, sollte und müsste.
Gerade die Verbände, die bei der Suche nach dem Erfinder dieses „Gleich-Richtig“-Lernparadigmas ganz sicher bei den Hauptverdächtigen dabei sind!
Damit mich hier keiner falsch versteht, die leichter zu spielenden Bälle und die Kinderschläger sind eine großartige methodische Unterstützung, selbst dann, wenn sie von den Verbänden empfohlen werden und um dieses Seitenthema richtig zu bewerten: Die deutschen Verbände machen mehrheitlich ihre Arbeit gut, auch wenn sich das eine oder andere in dieser Arbeit ziemlich gut für die eine oder andere Polemik eignet.
Ich habe die Verbände, die gefühlt hinter der Standardisierung und Überkausalität einer technischen Ausführung in den Lehrmustern unseres Sport stehen (die also irgendwie dabei waren bei der Erfindung des Diktums, dass man Tennis „gleich richtig“ erlernen müsste), vor allem deshalb erwähnt, weil man an deren Empfehlungen für methodische Hilfen im Materialbereich absehen kann, dass man es selbst im Vatikan nicht mehr ganz so genau und streng nimmt mit seinem angeblichen „Gleich-Richtig“-Dogma.
Man könnte jetzt sagen, dass der Vatikan der Tennislehre aber auch bei Anfängern nur so weit liberal geworden ist, dass das höchste der Gefühle jenes ist, dass man zwar mit einem Kinderschläger und einem weichen Ball üben darf, aber natürlich dabei auf jeden kleinen Fehler hingewiesen werden muss.
Aber auch das ist eine jener Polemiken, bei denen die Verbände und vor allem die von ihnen ausgebildeten und mit allen möglichen und unmöglichen Orden behängten Trainer durchaus immer wieder mal für eine sehr passable Steilvorlage für eine solche Polemik gut sind.
Aber, ich muss euch loben, liebe Verbände, das habt ihr gut gemacht mit den Kinderschlägern und den weichen Bällen, auch wenn ich nicht sicher bin, ob ihr damit eure Erbsünde, dass ihr den Satz erfunden habt, dass man Tennis „gleich richtig“ erlernen müsste, wirklich vollständig abgegolten habt. Da fehlen schon noch ein paar Rosenkränze!
Ich kann euch aber aus „meiner Universität des Lebens und meinen darin unternommenen, langjährigen Feldforschungen“ eindeutig bestätigen, dass ihr mit den Bällen und Kinderschlägern richtig gelegen habt.
Neben mir unterrichtet seit Jahrzehnten ein osteuropäischer Dogmatiker, der die Materialunterstützung im Anfängerbereich für Teufelszeug hält; der also auf die ganz reine Lehre vom „Gleich-Richtig“-Lernen setzt und die Ergebnisse eures „Liberalisierungskonzils“ rundweg ablehnt.
Ja, da kann man schon sagen, aus Verbandssicht, dass einem der eine oder andere Spinner und rückwärtsgerichtete Osteuropäer egal ist; aber ich habe seinen armen Sohn gesehen, wie der mit 3 Jahren mit einem Holzschläger „Dunlop Maxply“ und mit harten Bällen lernen musste und ich hätte es dem Buben wirklich gewünscht angesichts dieser Qualen, dass der Alte recht gehabt hätte und nicht ihr.
15 Jahre und 3 Tennisarme später, glaube ich zu beobachten, dass der Maxply-Effekt nicht ganz zu dem geführt hat, wozu ihn der „alte Urchrist“ des „Gleich Richtig“-Lernens eingesetzt hatte.
Trotz all seiner Gene, trotz all seiner Überzeugungen, trotz Lebenswerkidee rund um seinen Sohn von Seiten des „alten Urchristen“ sind die „Idiote“-Rufe gegenüber seinem Sohn nicht weniger und auch nicht weniger verzweifelt geworden.
Aber um von den spitzfindigen, quasi theologischen Aspekten rund um das „Gleich-Richtig“-Lernen des Tennis auf die konkrete Praktikerfrage zurückzukommen, wie das zusammen gehen sollte mit der „bösen Realität“.
Die kurze Antwort lautet: „Eben gar nicht!“
Die etwas längere ist mehrgeteilt:
1) Tennis ist ein Lehrersport – ein Sport, den man meist mit Lehrern erlernt:
im Gegensatz zu Selbstlernsportarten wie z.B. dem Skateboarden (das man einfach probiert und in dem man die Basisfähigkeiten, also dort das Gleichgewichthalten und Angstverlieren beim Stehen auf einem sich bewegenden Untergrund rein aus sich selbst heraus erlernt und erübt. Und diese Basisfähigkeiten sind auch so selbsterklärend, dass sie keiner Erklärung bedürfen sondern maximal Übungshilfen brauchen wie z.B. eine helfende Hand).
Die Basisfähigkeiten im Tennis bestehen darin, dass man es schafft, den Ball fallen zu lassen und dann nicht allzu wild drauf zu schlagen. Das, was wir als Lehrer machen, weil es von uns erwartet wird, also genaue Vorgaben über die Schlagausführung zu machen, ist daher im lernstrategischen Sinne immer ein „unsinniger und falscher Vorgriff auf spätere Lernphasen“ und eine völlig falsche Verschiebung des Lernziels, das in dieser Phase im Zentrum stehen muss. Die „helfende Hand“ in dieser Phase bestünde im Tennis z.B. darin, dass wir Lehrer besser zuspielen können oder bessere Übungsformen kennen. Aber die Crux, die sich hier auftut, ist jene, dass fast jeder Lehrer glaubt, dass eine reine Unterstützungsleistung bei einer Selbstlernphase nicht „lehrergemäß“ wäre und wenn du „lehrergemäß“ auftrittst in einer solchen Phase, bist du per definitionem ein „ganz schlechter Lehrer“.
2) Tennis ist ein Lehrersport, in dem die Lehrer meist in einem kommerziellen Verhältnis zu ihren Kunden stehen:
Wenn man also rein pädagogisch betrachtet eigentlich ein schlechter Lehrer ist, wenn man sich beim Erlernen der Grundfähigkeiten „lehrergemäß übergriffig“ aufführt und dauernd eine Themenverfehlung in Richtung einer noch nicht erreichbaren Zukunftsvorstellung macht, so muss man doch ergänzen, dass man andererseits auch berücksichtigen kann, dass es die Eltern der Kinder, die am Zaun 'rumhängen, eventuell ganz anders sehen werden. Aber wer glaubt schon, dass die Meinung von Leuten relevant ist, die nichts Besseres zu tun haben, als ihren Kindern stundenlang beim „Erlernen von Grundfähigkeiten eines Sports“ zuzuschauen. Wer glaubt das? Wir Tennislehrer, die wissen, dass die Eltern zahlen!
3) Die Angst, dass man sich irgendwas „Falsches“ beibringt, wenn man es nicht „gleich richtig“ erlernt:
Man braucht kein Erziehungswissenschaftler zu sein, um zu wissen, dass das nicht stimmt. Keiner hätte, wenn das stimmte, je seine Muttersprache erlernt – oder haben Sie schon einmal ein Kind gesehen, dass erst das Maul aufmacht, wenn es den Konjunktiv Plusquamperfekt beherrscht? Lernen ist ein sich ständig wiederholender Anpassungsprozess und die Idee, dass man sich irgendwo unterwegs einen nicht mehr behebbaren Fehler einfangen könnte, ist ein lerntheoretisch eher schwaches Argument, dafür aber ein umso besseres kommerzielles Argument für den Vorteil eines bezahlten Lernbegleiters!
Diese Idee des „Gleich-Richtig“-Erlernens ist meiner Wahrnehmung nach die Erbsünde der deutschsprachigen Tennistheorie schlechthin.
Sie ist entstanden aus einer ganz speziellen Konstellation heraus, nämlich aus jener, dass Tennis in den 70/80er Jahren des 20. Jahrhunderts plötzlich relativ populär geworden ist und sich von einer eher elitären Randsportart ein wenig in die Richtung Breitensport verschieben konnte.
„Beckerboom“ ist der Begriff, mit dem sich diese Entwicklung in einem Wort zusammenfassen lässt, selbst dann, wenn er wirtschaftsgeschichtlich nicht ganz stimmt und auch dann noch, wenn man auch ohne Gendervogel die Frage stellen darf, ob es da nicht auch noch eine gewisse Steffi Graf gegeben hat?
Jedenfalls haben die damaligen Spitzentheoretiker auf diese wirtschaftsstrukturelle Veränderung in unserem Sport mit einer „Standardisierungs- und Lehrplanisierungsidee“ reagiert, die damals sicher richtig und gut war, die aber auch gravierende Kollateralschäden produziert hat, die man einfach zusammengefasst so definieren könnte, dass es ihnen damit auch gelungen ist, aus einem „wunderschönen, höchst kreativen und maximal individuellen Sport“ in der Wahrnehmung vieler einen „deutschen TÜV-geprüften Sport“ zu erzeugen.
Man könnte im Sinne des gesamten Tennis sagen, ob ein Anfänger jetzt ein bisschen mehr oder weniger „lehrerübergriffigen Mechanismen“ ausgesetzt ist oder nicht, die ohnehin kaum jemand als solche definieren würde und die auch kaum jemandem „schaden“, wie das gerne formuliert wird, ist auch egal.
Ist es nicht, wenn man das Tennis liebt und dessen Faszination weitergeben möchte; Hannes Zischka hat den schönen Begriff geformt, dass man sich als Tennislehrer als „Botschafter des Tennis“ verstehen sollte und das gilt natürlich im besonderen für die Anfänger.
Warum ich aber die Idee des „Gleich-Richtig“-Erlernen-Müssens stark mit einer emotionalen Kritik überziehe, basiert auf einem anderen Aspekt dieser Idee; sie strahlt meiner Wahrnehmung nach auch viel zu stark in den fortgeschrittenen Bereich hinein, wo sie nun wirklich nichts verloren hat!
Wir neigen im Tennisunterricht alle dazu mit unserer Erklärungs- und Diagnosefixierung auf technische Grundfehler auch richtig gute Spieler konkludent und indirekt zu „ewigen Anfängern“ zu machen, weil sie wieder mal alle Basiselemente „vergessen“ zu haben scheinen.
Eine besondere Groteske in Bezug auf die Übertragung unserer „Anfängerschemen auf den fortgeschrittenen Bereich“ ist uns im Tennis mit den sogenannten „Lehrbuch-Schlägen“ gelungen, also insbesondere mit den Drive-Schlägen.
Der Drive, der nach wie vor als der Anfängerschulungsschlag schlechthin, angesehen wird, so wie ihn die damaligen Spitzentheoretiker als „Standard-Lehrschlag“ postuliert hatten (weder richtig noch falsch, sie haben sich halt auf einen „Lehrschlag“ festgelegt) wird von vielen Kunden unseres Unterrichts nicht primär und allein als „Lehrschlag“ wahrgenommen, sondern als „der höchst mögliche Zielschlag“.
Das ist so, wie wenn irgendjemand beim Schifahren glauben würde, dass die richtig guten Schifahrer den Stemm- oder Pflugbogen fahren würden, weil man ihn in der Schischule lernt.
Das glaubt dort kein 3-jähriges Kind! Insofern haben wir im Tennis weit bessere Autoritätsarbeit geleistet, weil bei uns glaubt das auch fast jeder Erwachsene; die Kinder glauben es uns nicht unbedingt, aber die biegen wir uns schon noch mit Hilfe der Zauneltern zurecht!