Glosse 6
Die wahren Engelszungen gegenüber der Rückhand
– Anja hatte nur die Vorhand – Anja!
Anja, meine kleine Vorhand-Göttin aus der DDR, die kostete mich, wie Ostbahn-Kurti es in seiner Cover Version zu Frank Zappas Bobby Brown so schön formuliert hatte, „viel Spaß und auch viel Überlegung“.
Diese personifizierte Mischung aus Feminismus und revolutionären Erfahrungen, eingebettet in einen Schaum von Unterdrückungstrauma, wie Ostbahn Kurti es gesagt hätte, hat mich in Form von der Anja überrollt.
Anja hat eine Vorhand, wie ich sie mir als „Vorhand-Patient“ nur wünschen würde, alles mit 1000 km/h „voll druff“, aus einem hohen Treffpunkt heraus und mit einer Quote wie die Ergebnisse der Volkskammerwahlen.
Eine Vorhand, die sie in Dresden der DDR gelernt hatte, zwischen dem Stopfen und Reparieren der Netze und dem Schmuggel des Tennissandes aus dem Westen, den das damalige Regime zwar zugelassen, aber maximal erschwert hatte in seiner Distanz zu diesem Individual- und Kapitalistensport.
Ihre Rückhand hingegen schien Anja von Nina Hagens Michael gelernt zu haben, der auch bei der Rückhandschulung den „Farbfilm“ vergessen zu haben scheint.
Aus dieser Fähigkeitskonstellation (sehr starke aggressive Vorhand und eher farblose und im mittleren Niveau dann auch unsichere Rückhand) heraus scheint sich das ganze Spiel auf eine Frage zu verengen: „Was mach' ich, wenn mir die Gegnerin hoch auf die Rückhand spielt?“
Und die sich aufdrängende Antwort, „wichs halt gleich drauf wie mit der Vorhand“, hat zwar einen ganz hohen abstrakten Reizfaktor, aber in Wahrheit doch eine eher maue Ergebnisqualität. Denn sie baut auf der Fehlannahme auf, dass die „Rückhand der kleine behinderte Bruder der Vorhand“ wäre, was sie nicht ist – selbst dann nicht, wenn man sie sehr gut kann, was ich als Vorhand-Patient und Rückhand-Halbgott nun wirklich von innen weiß.
Jedenfalls liegt mir sehr viel an Anja als Tennisspielerin und ich habe versucht, mit Engelszungen auf sie einzureden und einzuwirken, in dem Sinne, dass sie nicht primär ihre Rückhand verbessern müsste, sondern primär ein besseres Mindset für ihre Anlagen finden müsste. Ihre Anlagen seien eben geprägt von einer überragenden, aggressiven Seite und einer Seite, die unter diesem Gesichtspunkt als „Schwäche“ bezeichnet werden könnte.
Aber was auch immer ich ihr gesagt hatte, sie hat immer nur rausgehört, was sie selbst schon vorher geglaubt hatte: dass ihre Rückhand scheiße sei und dass die Lösung in einer Annäherung der Rückhand-Qualität an jene der Vorhand-Qualität läge.
Es war dabei auch nicht wirklich hilfreich, dass sie neben meinem Training auch noch mit einem alten DDR-Kumpel trainierte, der auch „rübergemacht“ hatte und auch ziemlich gut Tennis spielte.
Die haben dann natürlich versucht die Rückhand, bei deren Entwicklung Nina Hagens Michael seinerzeit den Farbfilm vergessen gehabt hatte, nachzukolorieren. Und da konnte ich mit meinen Vorschlägen, die allesamt in die Richtung gingen, richtig kunstvolle Schwarz-Weiß-Bilder à la Helmut Newton zu erstellen, emotional einpacken.
Ich habe mit meiner vorhandnaturtalentierten aber auch maximal selbstzerstörungstalentierten „Anja-Muse“ in Sachen „Stärken-Schwächenspiel“ wirklich gute Vorschläge entwickelt in die Richtung einer Perfektionierung der Schwarz-Weiß-Bilder:
Ich habe ihr die späten Grand-Slam-Siege vom Rafa analysiert, in denen er, der „unübertreffliche Großmeister der Vereinfachung dieses Spiels“, gefühlt nur noch Rückhand-Slice reingestoßen hat, um auf die eine Möglichkeit zu warten, auf die Vorhand abzuweichen und es dann „scheppern“ zu lassen
Ich habe durch Anja, bis aufs Blut des Pragmatikers und rationalen Strukturfanatikers, der ich bin, gereizt, sogar meinen in Fachkreisen legendären Vibratorimage-Spruch kreiert; der Rückhand-Slice wird mit einem Vibratorimage überschüttet: Niemand bezweifelt seine hohe Wirksamkeit, aber die Kompatibilität zum Ego ist problematisch!
Ich habe sogar ein Schema skizziert, wie große „Stärken-Schwächen“- Spieler à la Rafa ihre Motivationshöhen innerhalb der Stärke einerseits und innerhalb der „Schwäche“ andererseits systematisch differenzieren, zumindest im Durchschnitt. Wenn man den Rafa nimmt, dann spielt der auf der Vorhand gefühlt fast nix unterhalb der Motivationsebene der maximalen Druckerzeugung und sogar sehr viel oberhalb dieser Ebene, also im bewussten Winnermotivationsbereich!
In seinem „Schwächebereich“ der Rückhand (natürlich ist diese Schwäche so relativ, dass man sie nur als solche bezeichnen kann, wenn man als Vergleich die Rafa-eigene Druckfähigkeit mit der Vorhand hernimmt) hingegen begnügt er sich meist mit geringeren Höchstzielen in Form einer „hohen Neutralisierungsqualität“ seiner Rückhand einerseits (also dass die Wahrscheinlichkeit, dass der Gegner punktartig auf diesen Rückhand-Slice drauf geht, gering ist) oder in Form einer „hohen Assist-Wirkung“ seiner Rückhand für seine Vorhand andererseits (dass sein tiefer Slice ein vorsichtiges Antwortmuster des Gegners provoziert und ihm die Möglichkeit schafft den nächsten Ball mit der umlaufenen Vorhand zu schlagen).
Aber das hat alles nichts geholfen, bei meiner Anja.
Den Durchbruch habe ich erst geschafft, als es mir gelungen ist, einen Teil von der Anja mit ins Boot zu holen und dieser eine Teil von der Anja, dann den anderen Teil von der Anja so zusammengefaltet hat oder positiv formuliert, nur diese eine Anja wusste, was die Engelszungen für die andere Anja ausmachen.
Erst als ich es geschafft hatte, ein Bild zu entwerfen, das im Farbfilm und im Schwarz-Weiß-Film die gleiche Wirkung auf Anja entfalten konnte, haben wir den Durchbruch geschafft.
Anja hatte, wenn der Schmuggel des Tennissands in Dresden mal wieder gestockt hatte, auch ganz gut Handball gespielt.
Als ich ihr den Vorschlag gemacht hatte, dass sie sich auch im Tennis als 2 Personen betrachten soll, also wie in einem Teamsport, nämlich als Vorhand- Anja und als Rückhand-Anja, also im Handballvergleich als eine, die gut schießen kann und eine, die gut verteidigen und passen kann, brauchte ich keine großartigen Analysen mehr.
Die Vorhand-Anja hat die Rückhand-Anja dermaßen eingenordet, dass die Rückhand-Anja der Vorhand-Anja nie mehr einen Schuss weggenommen hat!
Das hat die Anja gelernt, und ich habe gelernt, dass du, wenn du jemandem wirklich weiterhelfen willst als Coach, nicht das beste Bild finden musst, das dir selbst am besten gefällt sondern solange weiterprobieren musst, bis du jenes Bild gefunden hast, das derjenige verstehen und annehmen kann, dem du helfen willst.