Glosse 3

“Coach me like Djokovic“

Ich hatte in meinem Berufsleben als Tennislehrer das Glück, einem der erfolgreichsten Tennistrainer, Niki Pilic, dabei zusehen und teilweise sogar assistieren zu dürfen, wie der einen der erfolgreichsten Tennisspieler, Novak Djokovic, ausgebildet hatte.

Wie so oft im Leben und auch im Tennis war das aus meiner persönlichen Sichtweise heraus eine klassische „Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt!“-Nummer.

Ich selbst hatte es bis dorthin fast fanatisch abgelehnt gehabt, mich beruflich im Leistungstennis zu engagieren; mein ganzes Streben ging stets in den Freizeitbereich dieses Sportes.

Der Umstand, dass ich da, wie ich es in meinem Buch „Spielen Sie noch richtiges Tennis oder gewinnen Sie schon was“ formuliert hatte, aus der besten Reihe zuschauen durfte (ich war Geschäftsführer und Cheftrainer der Pilic Akademie im Oberschleißheim bei München), war eigentlich eine Ironie des Schicksals.

Ich selbst hatte mich in jungen Jahren wirtschaftlich mit einem überdimensionierten Freizeittennis-Projekt verzockt gehabt. Pilic hat mit dieser Akademie wirtschaftlich wie ein Roulette-Spieler agiert, der immer nur auf diese eine Zahl „Superstar-Formung“ gesetzt und sie in Djokovic dann ja auch erhalten hatte.

In  dieser unserer Konstellation ergab sich die eigenartige Situation, dass ich, der sich gerade selbst verzockt hatte und in dieser Pilic Akademie ein persönliches Resozialisierungsprogramm durchmachen durfte, den Part des „Wirtschaftsweisen“ übernehmen musste.

Ich erwähne das so offen, weil ich den Romantizismus, der im „Heldentennis“ unserer Branche steckt, der uns stets vorgegaukelt wird, wenn uns in unserem Geschäft, das ein „Geschäft mit den Wünschen und Hoffnungen der Menschen“ ist, nach wie vor kategorisch ablehne und ihn als einen der größten Blockierer für Leistungssteigerung wahrnehme.

„Coach me like Djokovic“ hat Bernd Ochensberger, der Geschäftsführer von Zischka Reisen, unseren gemeinsamen Versuch der Übertragung meiner Erfahrungen und Beobachtungen aus dem Topbereich dieses Sports in den Normalbereich unseres Sports genannt.

Wenn ich sagen darf, dass es eigentlich „Coach me like Pilic coached Djokovic“ heißen müsste oder vielleicht noch genauer „Coach me like Schwarz recognised the Pilic coaching of Djokovic“ hätte ich meine Beraterethik auch befriedigt, sehe aber ein, dass es als Slogan suboptimal rüberkommt.

Aber ich denke, dass jeder weiß, was gemeint ist. Ganz grundsätzlich ist die Übertragung von Weltklassemechanismen auf den Normalbereich eine ambivalente Geschichte, weil zu viele unübertragbare Genieanteile in der Weltklasse liegen.

Was allerdings übertragbar ist, sind die grundsätzlichen Strukturen von Herangehensweisen, und die würde ich in zwei Ebenen erkennen, nämlich einerseits in der grundsätzlichen Entwicklung eines persönlichen Spiels und andererseits in den grundsätzlichen Strategien in der Gestaltung seines persönlichen Spiels in der Matchsituation.

Ich möchte in diesem Newsletter nur die grundsätzliche Entwicklung eines persönlichen Spiels aufgrund der Ausbildung von Djokovic andeuten und einen Übertragungsvorgang auf unser Freizeittennis ausformulieren (über die grundsätzlichen Strategien in der Gestaltung eines persönlichen Spiels in der Matchsituation werde ich an anderer Stelle „fabulieren“ und werde dies anhand des Beispiels Rafa Nadal tun, den ich auch nur aus dem Fernsehen kenne und den ich als „Großmeister der geniale Einfachheit“ verehre).

1) Das grundsätzliche Entwicklungscoaching eines Spiels anhand des Beispiels Djokovic:

Spätestens seitdem ich gesehen habe, wie Pilic Djokovic ausgebildet hatte, sofern man das im konventionellen Sinne überhaupt als ausbilden bezeichnen kann, versuche ich insbesondere im gehobenen Mittelklassebereich des Tennis dieses so erfolgreiche Modell eines „sanften aber konsequenten Coachings“ auf die Normalklasse zu übersetzen.

Wir im Normalbereich sind alle geprägt davon, dass der „Eingriff des Trainers“ primär auf der Lehrerebene erfolgen muss und sollte.

Das kommt daher, weil die großen Theoretiker des deutschsprachigem Raums, also Richard Schönborn in Deutschland und Dr. Helmut Hauer in Österreich (Schweiz kenne ich mich zu wenig aus aber gibt es sicher auch jemand vergleichbaren; „sorry Schwytz!“) in den 70er/ 80er Jahren des letzten Jahrhunderts auf eine rapide zunehmende Zahl an Tennisspielern  (richtigerweise und auch sehr gut ausgeführt) mit einer „Lehrplanisierung“ des Tennisunterrichts reagiert hatten.

Das war und ist meiner Ansicht nach immer noch eine richtige Basis für den Anfängerbereich, aber heute haben wir es auch im Freizeittennis mehr mit „ziemlich guten Spielern“ zu tun als mit Anfängern und wir neigen im Tennisunterricht aufgrund der „Schönborn-Hauer“-Prägung –  selbst wenn wir sie nicht gelesen haben sollten (sie wurden „mündlich und faktisch tradiert“ also dem Grunde nach von einer Tennislehrergeneration zur nächsten weitergegeben) – dazu, auch diese „ziemlich guten Spieler“ ein wenig im „ewigen Anfängermodus“ zu behandeln.

Aber genau für diese „ziemlich guten Spieler“ ist es zumindest eine Überlegung wert, ob man sie nicht stärker in die Coachingklasse à la Pilic/ Djokovic aufnehmen sollte als sie in der Schönborn-Hauer-Klasse der „ewigen Anfänger“ zu behalten (was diese beiden großen Männer des deutschsprachigen Tennis nie intendiert und auch nicht formuliert hatten).

Das Wesentliche an der Pilic-Herangehensweise (coachingzentriert) besteht aus 2 Elementen, die gerade in der traditionellen Sicht (lehrerzentriert) fast unter den Verdacht des „Falschen und Unengagierten“ fallen.

a) die klare und bewusste Vermeidung einer „Übergriffigkeit“ im Coaching: Pilic hat im Falle von Djokovic, den er im Alter von 12 Jahren übernommen hatte (also auch weit vor der „Fertigstellung“), die grundsätzliche Spielweise von Novak nie angetastet sondern als „gottgegeben“ akzeptiert und nur in diesem entweder von Gott oder von Novak vorgegebenen Rahmen konkretisiert und verbessert

b) die klare und bewusste Vermeidung einer „Überkausalität“ eines einzelnen Erfolgsfaktors oder anders ausgedrückt die Ablehnung eines „primus inter pares“-Faktors, der dann in abstracto automatisch ins Zentrum der Ausbildung gerückt werden müsste. Wenn man den, in der lehrerzentrierten Sichtweise als „primus inter pares“-Faktor  wahrgenommenen Faktor der Technik hernimmt, dann hat Pilic diesen nur dann betont, wenn Novak im Rahmen seiner Spielweise an eine Grenze gestoßen ist, die ihm mit seiner Technik bis dahin nicht überschreitbar gewesen wäre

2) „Alles können außer Schießen“ oder das Hauptproblem der gehobenen Mittelklasse:

 Wie schon gesagt, sprechen wir hier nicht vom Tennisunterricht an sich, sondern wir sprechen vom Training mit Freizeitspielern der gehobenen Mittelklasse, also von Leuten die oft 20 Jahre oder mehr spielen, meist an und für sich gute Sportler sind, im Tennis recht viel gewinnen oder gewonnen haben, die es aber laut Eigenwahrnehmung trotzdem nicht „wirklich richtig“ können und die sich diese leicht verquere Eigenwahrnehmung immer wieder damit bestätigen, dass sie die „wirklich geilen Nummern“ nicht so richtig können (wer kann das schon?!).
Wenn man in der typischen (und auch richtigen) Tennislehrermanier auf eine solche Gruppe trifft und die Leute fragt, was sie wollen, dann sagen sie in dieser Spielstärke in unterschiedlichen Nuancierungen eigentlich immer dasselbe, das man ungefähr mit dem Satz zusammenfassen könnte: „ich kann alles außer Schießen!“
Das ist ungefähr so, wie es eine legendäre Imagewerbung für Baden-Württemberg, in den 80er Jahren für das Kino produziert, karikiert hatte.
Die haben dort ihre Weltkonzern-Gründer und ‑Führer à la Würth- oder den Mercedes-Benz-Vorstand auftreten, „schwäbeln“ und dann deren inhaltlich beeindruckenden Vortrag mit dem Slogan„Wir können alles außer Hochdeutsch“ abschließen lassen.

Dieser Sprachvergleich ist zu 100 % auf unsere Situation im Streben nach einem möglichst guten Tennis übertragbar und könnte nicht besser dargestellt werden als in dieser Imagewerbung.
Er arbeitet mit einer irgendwie als „wahr und richtig“ empfundenen Suggestion, die zwar nicht stimmt, aber aufgrund ihrer ganz hohen Suggestionskraft schwer zu entkräften ist.
Es besteht kein zwingend kausaler Zusammenhang zwischen Hochdeutsch und Intelligenz/Erfolg. Genauso wenig besteht allerdings ein zwingender Zusammenhang zwischen Schwäbisch und Intelligenz/Erfolg. Die zwingenden Zusammenhänge in dieser Situation liegen woanders:

  • Sie liegen einerseits darin, dass in Dialektregionen ein latentes Minderwertigkeitsgefühl in Bezug auf die eigene Sprachinterpretation vorhanden ist

  • Und sie liegen anderseits darin, dass nicht die Sprachinterpretation das vorrangige Erfolgsbasismodell ist, sondern Faktoren wie technisches Verständnis, Fleiß, Sparsamkeit, Ordnung, Ausdauer etc. den Erfolg begründen

Genauso spielt es sich auch im gehobenen Mittelklassetennis ab: diese Spielklasse kann meist aus einer mittleren Schwierigkeitslage heraus jeden Schlag sicher und platziert ziemlich genau dorthin spielen, wo sie wollte, wenn sie es denn wollte oder glaubte, dass sie das dürfte oder glaubte, dass das reichte.
Alles, was dann über dieses ohnehin schon recht hohe Niveau hinausreichte, wird dann aus einer gewissen Komplexbeladenheit/ Geringschätzung gegenüber diesen eigenen Fähigkeiten (Dialekt im Sprachbereich; „Nur reinspielen können“ im Mittelklassetennis) stets dem Fähigkeitsmangel im „Hochdeutschen“ oder im „Technischen“ zugerechnet.
Mit dieser Zuordnung macht man aber lern- und entwicklungsstrategisch einen schweren Fehler; man macht nur ein weiteres Schwierigkeitsfeld auf, das einem aber im Gegensatz zum weit verbreiteten Glauben meist nicht bei der Lösung der eigentlichen Probleme hilft.
Man verwechselt hier Form und Funktion, um es sportwissenschaftlich zu sagen.
Aber um nicht zu theoretisch zu werden: will man in der gehobenen Mittelklasse noch eine Verbesserung herbeiführen, die nicht gleich wieder durch die Kollateralschäden, die das „Ungewohnte und Ungeübte“ so mit sich führen, vollständig aufgefressen wird, könnte man auch eine andere Strategie wählen.
Diese muss meiner Ansicht nach immer darauf aufgebaut sein, dass das „Neue“, das „Bessere“, das „Höherwertige“ nicht was wirklich Eigenständiges ist, sondern lediglich eine Erweiterung des „ohnehin Gekonnten“.

 

3) Übertragung des Coachingmodells von Pilic/Djokovic auf unsere normale Klasse:

Wenn immer ich irgendwelche Vorschläge zum Verbessern des Tennis formuliere, dann handelt es sich genau um das, nämlich um Vorschläge.
Sloganartig formuliert ist der Vorschlag nicht der „sich liberaler gebende kleine Bruder“ der Regel, Vorschlag und Regel sind gar nicht verwandt; sie stehen sich diametral gegenüber und vereinfacht gesagt, ist das natürliche Habitat der Regel im Tennis der Anfängerbereich und die dazu passenden „Lehrer-Hilfen“ und das natürliche Habitat des Vorschlags sind die gehobene Spielklasse und die dazu passenden „Coaching-Hilfen“.

Unstrittig ist natürlich auch, dass es gewisse Mischsituationen gibt; wenn man also von der gehobenen Mittelklasse („alles können außer Schießen“) ausgeht, dann werden alle lehrerzentriert Denkenden immer wieder unzählige Regel- und Lehrersituationen entdecken, die es auch gibt, die aber nicht im Zentrum der Probleme dieser Spielklasse stehen.
Zynisch formuliert, sage ich immer zu solchen Spielern, die ohnehin sehr gut spielen und schon zig Jahre und noch mehr Tennislehrerratschläge intus haben, dass ich es ihnen auch nicht beibringen werde können, wenn sie es bis jetzt bei all ihrer Motivation, all ihrem Talent und all diesen sicherlich guten Ratschlägen immer noch nicht können oder es –wie sie gerne sagen – wieder vergessen haben.

Das ist ungefähr so, wie wenn du auf deinem Computer deine Dateien so schlecht geordnet hast, dass du zwar alles drauf hast, was du brauchst aber nichts gleich findest und dir jemand eine Speichererweiterung vorschlägt statt einer Optimierung deiner Ordnung im Rahmen des vorhandenen Speicherpotentials.

Vereinfacht gesagt wäre es eine mögliche Herangehensweise an die Situation des „ziemlich guten Mittelklassespielers“, wenn man davon ausgeht, dass er/sie kann, was er/sie eben kann und dass er/sie nicht kann, was er/sie eben nicht kann und man das als gegeben hinnimmt und all seine Bemühungen in die Richtung einer optimalen Nutzung dieses vorhandenen Fähigkeits-Defizitsgemisch legen würde.
Bei aller Individualität, die eine solche Herangehensweise erforderte, kann man das Hauptproblem dieser Spielklasse dem Grunde nach schon pauschalisieren:

  • Alles relativ Einfache wird gekonnt, aber gering geschätzt oder ist mit dem Hauch einer Komplexbeladenheit überzogen. Ich mache als sehr guter Slice-Spieler immer den Spaß, dass ich auf den Einwand gegen den Slice, dass „Slice scheiße sei“, gerne den Konter anbringe: „Deiner vielleicht, meiner ist richtig gut!“. Das erste, was man meiner Ansicht nach ändern muss als „ziemlich guter Spieler“ mit „Hochdeutsch-Komplex“, ist, dass man diese durchaus übliche Negativinterpretation von „einfachen Strukturen“ in seinen Kopf und sein Herz lässt. Wenn etwas einfach ist, deckt es zwar nicht alles ab, aber dessen Beherrschung ist per definitionem ein wichtiger Teil von Qualität und keinesfalls eine Schwäche, für die man sich schämen müsste.

  • Der zweite übliche „Strukturfehler“ in der Klasse der „ziemlich guten Spieler“ baut gewissermaßen auf dem ersten „Strukturfehler der Negativinterpretation der einfachen Strukturen“ auf. Wenn man die einfachen Strukturen primär und oft nur als „ein zu Vermeidendes und zu Überwindendes“ betrachtet, dann führt das fast selbstverständlich dazu, dass man meint, die beste Absetzbewegung von diesen einfachen Strukturen wäre jene, die ganz weit weg geht von diesen einfachen Strukturen.
    Wenn man strukturell darüber nachdenkt, was man mit einem (welchem auch immer) Schlag erreichen möchte, dann ergeben sich zwei mögliche Extremmotivationen: die geringste wäre jene, dass man den Ball einfach irgendwie ins Feld bringen möchte, egal wie, Hauptsache ins Feld. Die Maximalste wäre hingegen diejenige, dass man mit seinem Schlag gleich einen (im besten Fall) Durchschlag- Winner erreichen möchte.
    Im Sinne der Absetzungsqualität von den einfachen Varianten ist das natürlich auch die beste Möglichkeit, im Sinne von brauchbarer Qualitätssteigerung ist es aber – wie alle wissen, die länger Tennis spielen – natürlich die untauglichste Variante.
    In Wahrheit spielt sich die „Musik“ in der Mittelklasse zwischen den Extremen ab (nebenbei bemerkt auch in der Weltklasse, aber die haben eine höhere Quote von Extremschlägen, die gelingen) und diese „Musik“ besteht motivationsstrukturell aus 2 Themen:
    a) Aus dem „kleinen Bruder“ des Durchschlag-Winners, nämlich einem Schlag, der den Gegner in Bedrängnis bringen kann
    b) Und dem „noch kleinerem Bruder“, dessen Qualität und Stärke nur dazu reicht, dem Gegner eine „neutralisierende Qualität“ rüberzuwerfen und den Durchschlag-Winner des Gegners maximal erschwert

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