Glosse 2
Nicht alles, was im Tennis schief geht, ist auch ein technischer Fehler:
„Wer nur einen Hammer zur Verfügung hat, wird primär nach Nägeln suchen!“ beschreibt ein Sprichwort aus der Handwerksbranche das, was man als „systemimmanentes und systemerhaltendes Denken“ bezeichnen könnte.
Unser Hammer in der Tenniswelt ist die „technische Korrektur“.
Wenn was schief geht, wenn man also wieder mal einen Ball, der so schön lag, ins Out oder ins Netz gedroschen hat, dann wird das über die technischen Fehler, die man dabei gemacht hat, nachbesprochen oder zumindest erklärt.
Als ich noch jung und zynisch war, habe ich die Ansatzfehler dieses Denkens immer mit dem Vergleich entlarvt, dass mir das so vorkomme, wie wenn man sein Auto im Suff in den Straßengraben gefahren und dabei einen Totalschaden produziert hätte und dann feststellte, dass die Ölkontroll-Lampe kaputt sei.
„Ja, die ist zweifelsfrei kaputt, aber sie befindet sich nicht im Zentrum des Problems!“
Heute, da ich alt und etwas weniger zynisch bin, beschränke ich mich darauf, über das Tennis meiner Schüler nachzudenken und glaube nach wie vor, dass der „technische Fehler im eigentlichen Sinn“ überschätzt wird und dass diese Überschätzung der „Ölkontroll-Lampe“ als Erklärung der Unfallfolgen kein zweckmäßiger gedanklicher Ansatz ist.
Warum denkt man überhaupt im Tennis immer so gerne in diesen „Hinterher- Analysen“?
Mental betrachtet wäre es nämlich besser, wenn man Dinge, die „eh schon rum ums Eck sind“ wegschiebt und nach vorne schaut.
Man denkt in dieser Unfallfolgen-Kategorie natürlich deswegen, weil man die nächsten Unfälle verhindern möchte.
Und genau da ist das Problem: selbst wenn man die von mir als maximal polemisch eingeführte Ölkontroll-Lampe mal bei Seite lässt, wird im Tennis über vergleichbare Unfälle meist so nachgedacht, wie man den Unfall, der primär aufgrund der Betrunkenheit und der überhöhten Geschwindigkeit zustande kam, verhindern hätte können, wenn man das letztlich missglückte Fahrmanöver in einer Qualität durchgeführt hätte, die ein stocknüchterner Formel-1-Fahrer an einem guten Tag hingebracht hätte.
Wenn man die technische „Hinterher-Analyse“ wirklich zur Vermeidung zukünftiger Unfälle nützen möchte, würde es sich anbieten über die Alkoholisierung nachzudenken und über die Frage, welche Geschwindigkeit man sicher beherrscht, besoffen oder auch nüchtern.
Unstrittig ist auch, dass eine Verbesserung der Fahrkompetenz den einen oder anderen Unfall vermeiden helfen ließe, aber genauso unstrittig ist dabei auch, dass man dabei jenes Unfallverhinderungsmodell anspricht, das am schwersten zu erreichen ist, weil man dafür viel mehr einsetzen müsste als ein paar schlaue Analysen.
Aber um konkret auf die technischen Fehler im Tennis zu kommen:
Es gibt meiner Wahrnehmung nach 3 unterschiedliche Arten von technischen Fehlern, die sich in ihrer Grundstruktur gravierend unterscheiden und deren Analyse vor allem auf unterschiedliche Zielsetzungen ausgerichtet ist.
Es gibt den „technischen Fehler im eigentlichen Sinn“; also jenen Fehler, der als „Generalerklärung für alles“ verwendet wird und dessen Analyse im Tennisunterricht ganz gerne als „Allzweckheilmittel“ angepriesen wird. Ein „technischer Fehler im eigentlichen Sinn“ wäre jener, bei dem man das richtige will, sich in einer richtigen Ausgangslage für dieses Wollen befindet, das gewollte auch grundsätzlich kann und trotzdem etwas in einer konkreten Situation nur suboptimal hinbringt
Der häufigste technische Fehler im Freizeittennis, insbesondere in der „soliden Mittelklasse“, ist allerdings ein anderer; ich würde ihn „als den technischen Fehler im Abstandsbereich“ bezeichnen wollen. Man hat eine bestimmte Wunschvorstellung von einer Schlagausführung und möchte diese auf jeden Fall durchführen; diese ginge aber nur, wenn man sich in der Treffpunktfrage in der Komfortzone dieses Schlages befände, was man eben nicht tat, sonst hätte man keinen Fehler gemacht. Die meisten technischen Fehler sind der wirklichen Substanz nach Abstandfehler und die beschriebenen „technischen Fehler im eigentlichen Sinne“ sind dann nur noch Kollateralschäden aus diesem Abstandfehler.
Der häufigste technische Fehler in der „gehobenen Mittelklasse“, in der die ersten beiden Kategorien der technischen Fehler (im eigentlichen Sinne und Abstandfehler) meist rar werden, würde ich als „Übermotivationsfehler“ bezeichnen wollen. Man neigt ab einem bestimmten Können dazu, die Balance zwischen Risiko und Sicherheit in die Richtung des Risikos zu verlagern und dann entstehen halt auch wieder technische Fehler, die Kollateralschäden einer „unausgewogenen Motivation“ sind, die wenn man ehrlich ist und systematisch stringent denkt, letztlich Fehler sind, die man bewusst in Kauf nimmt (und gar nicht wirklich verhindern will) auf seinem Entwicklungsweg zu einem noch besseren Tennis.
Auch wenn die populäre Suggestion des Tennisunterrichts, dass die Analyse des „technischen Fehlers im eigentlichen Sinne“ gewissermaßen die „Eierlegende Wollmilch-Sau“ der Entwicklung und der Optimierung seines Tennis wäre, verlockend ist, so ist sie leider doch falsch oder zumindest zu oberflächlich, um sich daran emotional aufzuarbeiten und sich damit ständig irgendwie schuldig zu fühlen.
1) Der technische Fehler im eigentlichen Sinne passiert einfach (auch wenn es schöner wäre, wenn er nicht allzu oft passieren würde) und ich kann Ihnen sagen, dass ich ihn mit zunehmenden Alter und mit zunehmender Routine als ziemlich erfolgreicher Spieler mit dem Mantra abwehre: „Wer glaubst du, dass du bist? Roger Federer?“
2) Der „Abstandfehler“ passiert auch, aber er ist besser bekämpfbar und zwar in 2 Richtungen:
Passiert er, steht man also nicht richtig zum Ball, um einen wirklich guten Ball zu spielen, muss man den richtigen Schlag spielen (also einen weniger anspruchsvollen, der auch in dieser suboptimalen Abstandsituation noch geht) und nicht versuchen, den falschen Schlag möglichst richtig auszuführen; der Fehler, den man hier gerne macht, ist also kein technischer Fehler, sondern ein strategischer oder um es neudeutsch zu formulieren, damit wir Deutschsprachigen es auch wirklich verstehen: der Fehler liegt in der Shot-Selection
Vereinfacht gesagt – und da sind wir dann doch wieder beim Sinn technischer Verbesserungen – werden mit zunehmender technischer Qualität die Abstandfehler weniger, weil man in der Berechnung des Abstandes besser wird und weil man überdies mit zunehmender technischer Qualität die Komfortzone für wirklich gute Schläge vergrößert (wie man z.B. sehr eindrucksvoll bei Rafa sieht, der über dem Kopf mit seinem Lassoschwung weit außerhalb einer normalen Komfortzone immer noch einen Vorhand-Topspin hinbringt, den ich nicht einmal hinbringe, wenn der Ball millimetergenau in der absoluten Komfortzone meiner Vorhand liegt)
3) Der „Motivationsfehler“ nimmt in Bezug auf seine Einordung insofern eine Sonderstellung ein, weil er meist gar nicht passiert, sondern gewollt ist und als gut angesehen wird.
Was er ja teilweise auch ist, zumindest in dem Sinne, dass man das Übungselement der Übertreibung und des Ausreizens von Risikofaktoren zweifelsfrei benötigt und ausleben muss, wenn man etwas Großes schaffen möchte.
Diese Phase eines Tennislebens lässt sich wiederum mit einem Autovergleich ganz gut beschreiben: „Während man lange Zeit besser mit einem Fiat 500 Autofahren übt und nicht gleich mit dem Ferrari losbrettert, neigt man in dieser Phase, in der man auch den Ferrari beherrschen könnte, dazu, mit dem Ferrari auf einem Waldweg rumzufahren und sich darüber zu ärgeren, dass die Scheiß-Kiste, die eine halbe Million gekostet hat, dauernd aufsitzt!“
Oder anders ausgedrückt, auch wenn etwas sehr gut ist, ist es nicht für alles gut!